Viele Worte sagen manchmal gar nicht viel. Eine Umarmung, echtes Interesse, Empathie – sagt dagegen jede Menge. Über Liebe, Dankbarkeit und was uns sonst noch hilft, durch’s Leben zu kommen…
Der Füller kratzt über das Stückchen Papier. Nur wenige Worte, aber sie haben es in sich. Vorne gestikuliert der Lehrer. Claudia passt nicht auf und ist doch hoch konzentriert, nur bei etwas Anderem….
Ein paar Klassenräume weiter sitzt ER, ihr neuer Schwarm! Einmal haben sie sich schon getroffen. Diese Begegnung, der erste Augenblick! Claudia kann es kaum erwarten, ihn noch einmal zu sehen! Nur noch einmal…
In ein paar Minuten schlägt der Gong. Claudia zögert. Ist das Ganze nicht ziemlich peinlich, jemandem so von seinen Gefühlen zu schreiben? Was, wenn er sie auslacht, vor der ganzen Klasse? Claudias Kopf wird warm und schwer. Sie träumt und grübelt…
„Hätte ich vielleicht was weglassen sollen?“ – „Habe ich wirklich an alles gedacht?“ – „Nichts vergessen?“ – „Was wollte ich ihm noch sagen?“ –„Hoffentlich versteht er mich richtig…“
Viele Fragen, wenig Antworten. Am Ende murmelt Claudia in sich hinein: „Guter Gott, ich weiß du hörst mich. Hilf mir jetzt einfach, dass alles gut geht…“
Claudia schreibt ihren Liebesbrief ganz am Anfang einer möglichen Beziehung. Alles Weitere liegt noch vor ihr. Und es gibt Liebesbriefe, die wir zu einem späteren Zeitpunkt schreiben.
Dieser erste Augenblick!
Ein Mann, im mittleren Alter[1]. Er schämt sich nicht mehr für seine Liebe.[2] Er sagt es frei heraus: was er denkt, was er glaubt, was er fühlt! Weil er weiß: sie ist das Beste, was ihm je in seinem Leben passieren konnte!
Der Mann bringt es zu Papier: Dinge für die er unendlich dankbar ist, was SIE und ihn verbindet, ganz tief im Herzen – hinweg über Distanzen, über Raum und Zeit, seine Liebe rührt an, die Ewigkeit!
Bevor er seinen Stift absetzt, nimmt er eine weitere Seite Papier. Er schreibt darauf noch eine Einleitung. Und denkt nach. Ob SIE wohl weiterlesen wird, Satz für Satz? Sich von der Liebe berühren lässt, von der er so voll und ganz durchdrungen ist? Oder wirkt es auf SIE möglicherweise völlig übertrieben, was er da alles schreibt, ist es „zu viel“ an Liebe?
Er schreibt viele Seiten, es wird ein kleines Buch. „Ich denke an dich!“, schreibt er darin. „Ich trage dich immer in meinem Herzen“. Ich sehne mich nach dir, ich liebe dich. Und ich bleibe in dieser Liebe, fest und treu.
Dazwischen betet er immer mal wieder – zu seinem Gott, der ihm treu geblieben ist auf all den Wegen seines Lebens. Ein bewegtes Leben – mit Umwegen[3], Abstürzen[4] und Höhenflügen[5]. Zu Gott hat er einen guten Draht. Den braucht er auch, gerade jetzt. Denn der Schreiber sitzt schon eine ganze Weile im Gefängnis, rechnet sogar mit der Todesstrafe! Er muss sich beeilen…
Liebe Gemeinde, wer ist dieser Liebesbrief-Schreiber? Manche ahnen es schon. Es ist Paulus von Tarsus, der Apostel.
Und die Geliebte, an die er seinen Brief schreibt? Es ist seine allerliebste Gemeinde, in Philippi, die allererste, christliche Gemeindegründung auf europäischem Boden.
Hören wir die ersten Zeilen aus seinem Brief (Phil 1,3-11). Hier lesen…
Der Liebesbrief
Ein Liebesbrief![6] Paulus ist sich sicher, sie werden sich wiedersehen, noch einmal – ob in diesem Leben oder in dem was kommt. Jesus kommt bald wieder! Paulus träumt davon, wie das sein wird, wenn sich wirklich alle wiedersehen – auch die Menschen in der Gemeinde die bisher nicht so gut miteinander klargekommen sind. Wenn sich alle wieder vertragen und tatsächlich vergeben.
Wo wir Menschen in der Liebe sind, da können wir anderen die Meinung sagen – und nehmen uns danach um so fester wieder in den Arm. Vielleicht denken Sie jetzt, dass ist zu schön um wahr zu sein. Es ist wahr, es geht auch anders! Denn Gott hat es bereits angefangen, in uns – das „gute Werk“. Nicht aus mir selbst heraus schaffe ich das, aber in Christus, in seinem Geist wird dieser Traum Wirklichkeit.
Seine Erfahrung mit dem auferstandenen Herrn bringt Paulus in weiteren Liebesbriefen auf einen Nenner: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus in mir“ (Gal 2,20). Getrieben von einer höheren Liebesordnung. Keine noch so ungerecht verlaufende Gerichtsverhandlung kann sie ihm wegnehmen. Ein Stoff der tröstet, überall dort wo Menschen guten Glaubens alles in einem anderen Licht sehen. Es ist das Leben in Gottes Geist. Lassen wir uns verwandeln, in Christus… (2. Kor 5,17).
Beziehungsweise leben
Liebe Gemeinde, wir leben in Beziehung – zu uns selbst, zu anderen Menschen und zu Gott. Und dort, wo zwei oder drei zusammenkommen – in seinem Namen, da ist uns verheißen: Gottes Geist ist mitten unter uns.[7] Doch wir wissen auch, dass es anders laufen kann als eigentlich beabsichtigt.
Jesus hat das mit seinem Gleichnis, das wir vorhin in der Lesung gehört haben, so meisterhaft auf den Punkt gebracht. Siebzigmal siebenmal! Wir brauchen so viel Vergebung, weil wir uns so wenig von Gottes Geist leiten lassen, der uns bereits beim ersten Mal vergibt.
Wie kommen wir dem näher? Paulus schickt in seinem Brief etwas Wichtiges voraus. Es ist etwas zum Nachdenken, manchmal richtige Denkarbeit. Was ich meine ist die DANKBARKEIT. Paulus beginnt seinen Brief mit einem großen Dankeschön und rollt damit für alles Weitere sozusagen den roten Teppich aus…
Nehmen wir diese Bewegung einmal auf. Für was oder für wen sind Sie heute morgen so richtig dankbar? Wem rollen Sie den roten Teppich aus? Nehmen wir uns dafür einen Moment der Stille.
STILLE
Ich rolle den roten Teppich meiner Dankbarkeit aus für die Liebe, der ich alles verdanke. Ich will mich dafür öffnen. Es gibt so vieles, für das ich dankbar bin.
Nichts in meinem Leben ist selbstverständlich. Niemand versteht alles. Niemand kann all das Gute begreifen, das Gott uns schenkt. Die Liebe Gottes zu uns Menschen, sie umgibt mich ganz, sie erfüllt mich mit Freude.
Dabei darf ich auch vergessen, was hinter mir liegt oder mir den Blick nach vorn versperrt. Gott gab Paulus viel Liebe ins Herz. Das machte ihm Mut für seinen weiteren Weg. Er streckte Gott seine Hände entgegen.[8] Hände, die uns in unserem Leben überraschend Liebesbriefe zustecken.
Gott schreibt uns einen Brief, damit wir das große Geheimnis erfahren: „Ich, dein Gott liebe dich“.
Ich will mehr von solchen Liebesbriefen. Sie helfen mir, mir selbst und anderen zu vergeben, miteinander weiterzukommen!
Manches gelingt mir dabei schon richtig gut, anderes wiederum klappt überhaupt noch nicht. Da tröste ich mich mit dem Satz aus dem Brief, den Paulus den Philippern zugesteckt hat:
„Ich bin darin guter Zuversicht, dass der, der in uns das gute Werk bereits angefangen hat, es auch vollenden wird, zu seiner Zeit, nach seinem Plan“ (Phil 1,6)
Amen.
Predigt gehalten am 23.10.2016 in der Ev. Auferstehungskirche KN-Litzelstetten
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[1] Philipper-Brief ist lt. Forschungsliteratur zusammen mit dem Philemon-Brief um 58 n.Chr. im von Paulus im Gefängnis verfasst worden, kurz vor seinem Märtyrertod in Rom 58-60 n.Chr. – s. Nero-Notiz. Sein Damaskus-Erlebnis wird auf 32 n.Chr. geschätzt. Angenommen er wäre zu dieser Zeit ebenso alt gewesen, wäre Paulus im vorliegenden Fall 58 Jahre alt.
[2] „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben“ (Röm 1,16)
[3] „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet“ (Phil 3,5f.) + „Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden“ (1. Kor 15,8) + „Paulus, ein Apostel nicht von Menschen, auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat von den Toten“ (Gal 1,1,);
[4] Vgl. Bericht von der „Bekehrung“ vom Saulus zum Paulus (Apg 9)
[5] Vgl. „Offenbarung des Herrn und Schwachheit des Apostels“ (2. Kor 12,2ff.)
[6] In Christus sein, Gemeinschaft mit ihm haben und mit anderen Christen. Viele Liebesbriefe hat er geschrieben, auch an andere Gemeinden. Aber die Gemeinde in Philippi, die hatte er besonders lieb, nahm sogar finanzielle Unterstützung von ihr an – was er bei anderen sonst nicht getan hat. Die Liebe ging sozusagen durch den Geldbeutel –dafür muss man sich gut kennen…
[7] „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20)
[8] „Meine Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, dass ich’s ergriffen habe. Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist“ (Phil 3,13)
[…] und Driss lernen, die Bedürfnisse und Träume anderer zu erkennen und ihnen mit Offenheit und Empathie zu begegnen. Sie sehen die Menschen um sie herum nicht nur oberflächlich, sondern versuchen, ihre […]