Bitte schön Lächeln! Und mit offenen Augen durchs Leben gehen... (Foto: bikeriderlondon/ Shutterstock)

Die Welt: so wie sie ist – und wie sie sein könnte…

in Predigten von

Was gegen Weltschmerz hilft? Nun. Zumindest nicht den Kopf in den Sand stecken und selbst aktiv werden.  Vom Sehen, Handeln und Hoffen…

Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist… lila! Sie sehen es nicht, nein? Nun, als Menschen sehen wir meist nur das, was wir erwarten. Und wenn die Wand nun einmal lila statt weiß ist, dann ist sie das – zumindest für den, der sie so betrachtet. Dann stimmt das so. In welcher Stimmung sind Sie so und vor allem… was sehen Sie?

Ich sehe…

Es gibt Tage, da sehe ich auf der Straße nur VW-Busse, weil ich dieses Auto nun einmal mag und selbst gerne fahre, mich damit sogar ein Stück weit identifiziere, mit diesem Lebensgefühl.

Und es gibt Tage, da sehe ich nur schwangere Frauen. Warum das? Nun, wir erwarten gerade selbst ein weiteres Kind. Entsprechend bin ich neugierig, habe Interesse an anderen Menschen die dieses oder jenes mit mir gemeinsam haben, bestimmte Situationen im Leben bereits kennen – oder eben nicht.

Die Theorie bestimmt das Ergebnis

Meine Sichtweise beeinflusst, was am Ende dabei rauskommt. Wissenschaftler behaupten sogar: Theorie konstruiert Wirklichkeit. Sie haben sich mit diesem Phänomen des Sehens beschäftigt, sprechen von selektiver Wahrnehmung. Und das ist ja auch gut so: ich würde sonst wohl verrückt werden! Wenn all das, was ich sehe tatsächlich sehe, dann wäre ich überfordert. Und über andere Sinneswahrnehmungen, unser Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken, darüber haben wir ja noch gar nicht geredet!

Bleiben wir beim Sehen. Gut, wenn ich mich hier fokussieren kann, meinen Blick auf das was ich jeden Tag so sehe. Das beginnt bereits beim Blick in die Zeitung, beim Frühstück oder meine Zeitleiste bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken, noch vor dem Aufstehen, bevor ich aus der Bettdecke herauskrieche.

Abschalten oder aushalten?

Wo auch immer ich mich den lieben Tag lang mit beschäftige, es prägt mich. Meine Wahrnehmung, meine Gedanken und Gefühle. Auf diese Weise bastele ich mir so meine eigene Welt – myWorld. Nur wenige Nachrichten sind es, vielleicht zwei oder drei, die ganz oben als Schlagzeile stehen. Mehr kann ich mir kaum merken, da schalte ich weiter… oder ab!

Das gilt für meinen Medienkonsum. Und ich glaube auch fürs Leben mit den Menschen um mich herum, Familie und Freunde, Mitschüler und Kollegen. Ich bin es, der die Fernbedienung, Maus oder Touchpad in der Hand hält. Damit kann ich schnell weiterschalten: zu etwas mehr Unterhaltung und Ablenkung, einem anderen Schauplatz.

Wegschauen ist das eine – eigentlich ganz normal. Hinschauen das so völlig andere. Es ist ja bekanntlich viel einfacher, darüber zu reden was wir alles gesehen und gehört haben. Dabei gibt es unendlich viele Möglichkeiten, sich hier und heute für eine bessere, gerechtere und vor allem lebenswerte Welt einzusetzen…

Ich handle…

Es gibt so viele Möglichkeiten. Machen wir unsere Augen auf und sehen so, wo wir gerade am meisten gebraucht werden. Wenn ich es schaffe, meine Umwelt in der ich jeden Tag neu aufstehe und durchs Leben gehe zumindest mal 1 Minute lang mit offenen Augen sehe… Probieren Sie’s doch mal öfter aus, vorhin haben wir es bereits getan.

Mit offenen Augen sehen – und danach handeln, ein Wagnis! Vielleicht sogar eine Zumutung. Wenn ich es schaffe, einige Minuten am Tag achtsam zu sein. Achtsamkeit im Alltag! Das tut auch mir gut.

Wenn es mir gelingt, den Menschen um mich herum Raum zu geben, ihren Gedanken und Gefühlen, ihrer Weltanschauung – ob die Wand nun lila oder doch weiß ist. So wie ich das sehe. Das entspricht nicht immer meiner eigenen Sicht auf die Welt, aber ich will sie zulassen, aushalten können.

Augen zu und durch?

Und bei Bedarf sage hier und dort etwas dazu. Die Durchhalteparole: Augen zu und durch! Sie passt vielleicht anderswo besser…

Retten wir die Welt zusammen? Das wär’s doch. Das muss ja nicht gleich bedeuteten, in blindem Aktionismus die Ärmel hochzukrempeln und hinten raus auszubrennen. Ich kann vor meiner eigenen Haustür damit beginnen. Ich nehme mir vor,  Freunden und der Familie etwas Gutes zu tun, auch den Mitschülern und Kollegen.

Und selbst der Nachbar um die Ecke, womöglich ein Klugscheißer, der mir jeden Tag aufs Neue seine Weltsicht aufs Auge drücken will – auch er ist ein Geschöpf Gottes. Als solches will ich ihn gerne sehen, das nehme ich mir vor – für die kommende Woche. Vielleicht denken Sie gerade selbst an jemanden, der Ihnen auf die Nerven geht. Versetzen sie sich doch einen Moment in sie oder ihn hinein: schauen hin, hören zu. Und reden dann…

Wenn uns das gelingt, jeden Tag mehr, dann geht’s uns gut! Finde ich. Klingt alles schön und gut, aber keine Zeit, einfach viel um die Ohren? Hören wir mal genauer hin…

Muss nur noch kurz die Welt retten, danach flieg ich zu dir. Noch 148 Mails checken wer weiß was mir dann noch passiert denn es passiert so viel. Muss nur noch kurz die Welt retten und gleich danach bin ich wieder bei dir.

 Eine besondere Mission, noch eben die Welt zu retten! So sieht es Tim Bendzko. Der Titel seines Erfolgshits: „…eben nur noch die Welt retten“. Mit seinem Song hat er Platin-Status geholt und studierte nebenher noch ein paar Semester Theologie. Ob es tatsächlich die 148.713 Mails sind, die Sie vom Sich-Einsetzen-für-eine-bessere-Welt abhalten oder etwas anderes, was Sie in Ihrem Leben bindet: fangen Sie klein an und verlieren dabei weder Kraft noch Mut.

Ich hoffe..

Dinge zum Anpacken gibt es genug. Wir müssen sie nur sehen. Mit dem sehen fängt es an, der erste Schritt aus der Sackgasse, raus aus dem Abwärtsstrudel, weg vom Weltschmerz.

Mit unserem Blick, unserer Sichtweise fängt alles an: das Gute, das Schöne, dass Mutmachende. Das steckt andere an, kann es zumindest. Und manchmal sind wir damit allein, haben eine Vision – einen tollen, revolutionären Gedanken im Kopf. Und andere wollen ihn nicht teilen, nicht sehen.

Das erinnert mich an die Geschichte der Propheten im Alten Testament. Die haben auch viel gesehen und gehört, erlebten mit ihren Visionen ein Wechselbad der Gefühle, predigten soziale Gerechtigkeit mit Gott an ihrer Seite, erzählten von einer besseren, anderen Welt. Und wurden dabei unterdrückt von den Mächtigen dieser Welt. Manchmal steckten sie ihren Kopf in den Sand. Meist machten sie dennoch weiter: unermüdlich, überzeugt von dem was sie zu sagen hatten.

Kopf raus aus dem Sand!

Ich kann von ihnen lernen, diesen Propheten. Frei nach dem Glaubenssatz: Sagen was ich denke. Und tun was ich sage. Die Propheten haben sich dran gehalten und inständig gehofft, dass es besser wird – sonst hätten sie wohl nicht so lange durchgehalten. Ich nenne mal ein paar Beispiele:

Der Prophet Amos hat das am eigenen Leib gespürt, wie die Mächtigen das Volk ausnutzen – ein Sozialkritiker der ersten Stunde. Oder Jona: von Gott bekommt er den Auftrag, die Leuten von Ninive zur Umkehr aufzurufen – die Strafe bereits im Kopf durchgespielt, etwas Schadenfreude war dabei. Und Gott? Er reagiert ganz anders, verschont die Stadt – die Menschen wagen den Neuanfang. Die Hoffnung auf ein besseres Leben, sie war stärker, setzte sich durch. Die Menschen sahen für sich auf ein Mal neue Perspektiven, einen neuen Blick auf ihr Leben. Bisherige Gesetze der Straße, sie galten auf ein Mal nichts mehr…

Das Undenkbare denken

So war es auch bei der Wahl des Königs Davids. Samuel, selbst ein weiser Mann, lernte folgenden Glaubenssatz: Gott sieht vor allem mit dem Herzen und der Mensch? Der bleibt meist noch bei dem, was vor Augen ist. Und das muss nicht so bleiben, denn Gott geht mit – mit uns.

Da beeindruckt mich die Geschichte von Jeremia, auch ein Prophet. In jungen Jahren bekommt er von Gott ebenfalls keinen leichten Job. Doch Gott verspricht ihm: er geht mit ihm mit, komme was da wolle, ob es drunter oder drüber geht, durch Dick und Dünn. Gott geht mit, jeden Tag unseres Lebens und selbst da wo wir das im Rückblick niemals für möglich gehalten hätten.

Also will ich tun, was ich tun kann. Weil es nicht schaden kann. Weil es nur nützen kann. Fangen wir damit an, immer wieder neu: die Welt mit seinen Augen zu sehen. Sehen, handeln, hoffen. Offen, anders und mutig!

Amen.

Gehalten am 19.6.2016 in der Ev. Auferstehungskirche Litzelstetten.

Artikelbild: bikeriderlondon/ Shutterstock

 

Ich bin Jan Otte. Und möchte Menschen Mut machen. Das versuche ich mit Worten und Taten, mit meiner Schreibmaschine und dem Mikrofon, mit diesem Blog und Podcast. Und auf anderen Bühnen des Glaubens...

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