Was tun wenn es kracht? (Foto: Antonio Guillem/ Shutterstock)

Beziehungskrise: Verstehen statt Verurteilen

in Predigten von

Jesus seine Jünger sind dabei als sie Jesus aus der Reserve locken. Sie sind dabei als Jesus streng gläubigen Juden lediglich das entgegenhält, was sie längst wissen – das Gesetz Moses, die Worte der Thora. Diese regeln bis ins kleinste Detail das menschliche Leben. Auch Beziehungskrisen…

Worte aus dem Markus-Evangelium, Kapitel 10,2-12 .

Im Grunde genommen sagt Jesus den Paragraphenreitern unter ihnen, den Pharisäern: „Lies’ selber nach, da steht’s doch!“.

Der Evangelist Markus könnte seinen Bericht, den wir gerade gehört haben, an eben dieser Stelle stoppen. Es ist schließlich doch nur ein Schlagabtausch von vielen, zwischen Jesus und den jüdischen Gesetzeshütern. Doch Markus berichtet weiter…

Fragen über Fragen

Jesus seine Jünger sind persönlich verunsichert. Zuhause, hinter verschlossenen Türen fragen sie noch ein Mal nach, unter sich. Wie hat Jesus das denn ganz genau gemeint mit dem Thema „Ehebruch“? Hat er möglicherweise noch eine andere, inoffizielle Version parat? Und… wenn ja, verrät er sie seinen Jüngern?

Auf jeden Fall sind seine Jünger an diesem Thema sehr interessiert. Sonst hätte Markus dieses Doppelstück wohl kaum aufgeschrieben. Sind Jesus’ Jünger so interessiert weil sie persönlich betroffen sind?

Wir wissen es nicht. Jesus antwortet seinen Jüngern mit einigen Worten, liefert ihnen darin aber keine wirklich neuen Erkenntnisse. Ist es das was die Jünger wirklich wissen wollten? Wenn eine Frau ihren Mann betrügt ist das ebenso Ehebruch wie wenn ein Mann seine Frau betrügt. Ahhhh ja – Frau/Mann, Mann/Frau. Ich möchte in der heutigen Zeit noch ergänzen: Mann/Mann, Frau/Frau.

Mann oh Mann! Warum in Gottes Namen beantwortet Jesus seinen Jüngern nicht einfach die Frage, die sie so brennend zu interessieren scheint? Wieso um Himmels Willen sagt Jesus seinen Jüngern nicht einfach, was „Sache“ ist? Den Fischern vom See, die mitten im Leben stehen.

Jesus bleibt in der Situation, bietet einige Gedanken aber keine Patentlösung. Er bewertet die Vorsätze der Menschen im Herzen höher als das tatsächliche Einhalten der Paragraphen. Darunter: »Du sollst nicht ehebrechen« (Ex 20,14). Im Gesetz Moses bricht nur die Frau die Ehe, selbst dann wenn sie unschuldig ist. Im Gesetzesverständnis von Jesus brechen beide die Ehe, sowohl Mann als auch Frau. In unserer modernen Gesellschaft gibt es keine Schuldfrage mehr – zumindest nicht in deutschen Gesetzesbüchern (seit den 80ern).

Ehebruch ist etwas anderes als eine offizielle Scheidung mit Brief und Siegel. Ehebruch kann zur Scheidung führen, muss es aber nicht! Ab wann ist die Ehe denn… „gebrochen“?

Regeln für Beziehungen, nicht gegen sie

Eine Frage, die sicher auch Jesus’ Jünger bewegte. Ehebruch fängt bereits im Kopf an, surreal oder einfach „normal“ – was denken Sie, was denkt ihr? Ich denke zum Beispiel an den Blick im Fitnessstudio auf den Hintern der Frau vor mir. Ähnlich lebensnah sagte es Jesus in seiner Bergpredigt (Mt 5,27) – während er das Gesetz Moses auslegte, dem Regelwerk. Solche Regeln können hilfreich sein, vor allem auch die ungeschriebenen Gesetze.

Keine Beziehung, keine Partnerschaft funktioniert ohne sie: Absprachen, Versprechen und Kompromisse – gut wenn ich mich daran halte. Beziehungen sind schön, manchmal ganz schön schwierig. In guten wie in schlechten Zeiten. Und wenn viele Leute in meine Beziehungen mit eingebunden sind, wird’s richtig kompliziert. Eltern, Kinder, Freunde und Bekannte. Was hilft mir dann?

Keine vorschnellen Ratschläge, erst recht keine Urteile. Aber wie wäre es mit… Verständnis? Jesus schaut genauer hin, in unsere Beziehungen – ob mit oder ohne Trauschein. Jesus will vor allem verstehen, nicht verurteilen.

Jesus urteilt also nicht über unsere Köpfe hinweg, er will uns kapieren. Mitten im Leben, ebenda wo wir gerade sind. Diese Haltung von Jesus ist erstaunlich aktuell. Wird in Deutschland doch mittlerweile jede zweite Ehe geschieden – soweit die Statistik. Und die Schlagzeilen.

Jesus willen verstehen, nicht verurteilen

Noch ein Mal zurück nach Jerusalem. Die Pharisäer fordern ihn ein weiteres Mal heraus, ein Urteil zu sprechen. Sie zeigen mit dem Finger auf eine Frau. Auf frischer Tat soll sie beim Ehebruch ertappt worden sein, behaupten die Sittenwächter. Sie stellen die Frau an den Pranger, wollen diese im Namen Gottes sogar umbringen.

Die Pharisäer wollen von Jesus diesmal ein klares Urteil hören. Sie geben erst Ruhe als Jesus mit der Sprache rausrückt. Schuldig oder unschuldig? Jesus reagiert mal wieder völlig anders als seine Gesprächspartner wohl vermuten. Denn er sagt: »Wer von euch ohne Schuld ist, soll den ersten Stein werfen« (Joh 8,7ff.) Und dann…

… gehen sie schamrot weg. Jesus fragt die Frau, mittlerweile ist sie wieder auf freiem Fuß: »Hat dich niemand verurteilt?« Die Frau zuckt mit den Schultern. Und Jesus spricht: »Ich verurteile dich auch nicht. Geh! Aber tue von jetzt an kein Unrecht mehr.« Jesus schafft die biblischen Gebote nicht ab. Er relativiert sie! Darunter verstehe ich kein Abflachen dieser Gebote, sondern ein In-Beziehung-Setzen. Zu uns, zu mir.

Beim Scheitern hilft mir keine Moral, auch keine noch so gut gemeinten Ratschläge. Was mir hilft? Letzten Endes ist es mein Glauben an Jesus, den Christus, den Messias. Ich bin mir sicher: er verurteilt mich nicht – weil er mich versteht, kennt und trotzdem liebt!

Amen.

Predigt gehalten am 18.10.2015 in der Evangelischen Auferstehungskirche Konstanz-Litzelstetten

Artikelbild: Antonio Guillem/ Shutterstock 

Ich bin Jan Otte. Und möchte Menschen Mut machen. Das versuche ich mit Worten und Taten, mit meiner Schreibmaschine und dem Mikrofon, mit diesem Blog und Podcast. Und auf anderen Bühnen des Glaubens...

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